Das Klarinettenmundstück, seine Bahn und die Details

dieses Kopf- und Herzstücks haben mich schon immer fasziniert. Ähnlich dem Vergaser, der einst beim Verbrennungsmotor die Drehzahl und die Leistung regelte, hilft das Mundstück dem Klarinettisten dabei, Intonation, Klangfarbe und Dynamik zu beeinflussen.
 
Als ich 12 Jahre alt war, war die Welt für mich noch in Ordnung, alles lief rund und ich hatte richtig Spaß am Klarinette-Spielen.
Bei einer Werbeveranstaltung des Jugendorchesters brach damals urplötzlich meine Welt zusammen. Ein Freund wollte mein Mundstück mal anschauen, und just im Augenblick der Übergabe fiel es zu Boden. Ich konnte es schon am Geräusch des Aufpralls hören: Das war's, Ende!
Von meiner Wut, der Angst, meiner Verzweiflung und Ungewissheit darüber, wie es jetzt weitergehen sollte will ich gar nicht weiter reden. Damals begann für mich eine lange Suche nach einem gleichwertigen Ersatz, den es so natürlich nicht gab, und ich habe mir geschworen, dass mir so etwas nie wieder passiert!
Kurzum seit Beginn meiner Berufslaufbahn ist es natürlich wieder passiert, aber ich nahm dieses Mal einfach mein Ersatzmundstück aus dem Koffer und spielte weiter, als wäre nichts gewesen. "Mensch, besser als vorher!" scherzte mein Kollege noch...
 
Dieser eine Rückschlag im Alter von 12 Jahren ist bis heute mein Antrieb, alles Wissen über Mundstück, Blätter, Material und auch alles handwerkliche Geschick, das ich finden konnte, im Detail aufzusaugen. Darum möchte ich mich heute an dieser Stelle von ganzem Herzen bedanken bei all den eifrigen Sammlern empirischer Bahnmaße über mehrere Generationen von Klarinettisten und natürlich auch bei den Mundstückmachern und Instrumentenbauern, von denen ich die Kunst erlernen durfte, eine Mundstücksbahn von Hand aufzuziehen!

 
Meine neueste Errungenschaft: Klarinettenmundstücke eigener Konstruktion additiv gefertigt und biokompatibel.
 
Der Mundstück Rohling und die Beschaffenheit sowie die Maßgenauigkeit seiner Innenräume, Bohrung und Tonkammer ebenso wie die der Bahn des Mundstücks sind von entscheidender Bedeutung für Intonation und Klangfarbe des gesamten Instruments.
 

Das Material

selbst, aus dem ein Klarinettenmundstück gemacht ist, hat schon eine Funktion und bildet die Grundlage für ein rundes geschlossenes Klangbild. Hier ist besonders beachtenswert, dass sich die Spitze des Mundstückschnabels weder gar dauerhaft verbiegen lässt noch dass das Mundstück selbst in hohem Maße mitschwingt bei der Tonerzeugung. Schwingen soll alleine das Klarinettenblatt.
Je höher also die Eigendämpfung des Mundstück - Materials ist, desto runder dunkler und satter ist der klangliche Gesamteindruck. Moderne Kunststoffe wie ABS oder Acrylate mit diversen Zusätzen tragen diesem Sachverhalt Rechnung, während von dünnwandigem weichem Kautschuk eher abzuraten ist. Mit Mundstücken aus Edelhölzern erreicht man zwar klanglich sehr gute Ergebnisse, allerdings ist die Maßhaltigkeit der Mundstücksbahn mit diesem Material nicht zuverlässig auf Dauer gegeben, so dass auch diese Möglichkeit in der Praxis meist ausscheidet.
 

Die Bohrung

des Mundstücks muss zu den Gegebenheiten des Instruments passen. Ist sie zu eng, wie dies oft bei billigeren Varianten vorkommt, ist die gesamte Intonation des Instruments zu hoch, jedoch die hohe Lage, ab dem c''' sowie die kurzen Töne g'-b' sind zu tief. Der gesamte Klangeindruck ist dann auch meist sehr hell.
Anders verhält es sich bei zu großer Bohrung : Die Intonation insgesamt ist tief, der Klang ist dunkel, dafür aber weniger geschlossen und die hohe Lage sowie die kurzen Töne sind eher hoch. Letzteres bemerkt man oft bei alten Holzmundstücken.
 

Der Schacht, oder die Tonkammer

als Verbindungshöhle zwischen Bahn und Bohrung hat die wichtige Funktion einer Nahtstelle. Hier trifft die Schwingung der Blattunterfläche auf die jeweils angeregte Eigenresonanz der Tonröhre des Instruments. Er muss also einerseits die Blattschwingung an die Luftsäule weitergeben und andererseits ausreichend Rückkopplung mit der Luftsäule zulassen.
Damit nun die eingeblasene, bereits schwingende Luft mühelos strömen kann, sollten die Wandungen diesesTeils des Mundstücks glatt und ohne größere Riefen oder Rillen gestaltet sein. Der Übergang der Dachfläche auf der Innenseite sollte idealer Weise ohne Knick oder Bruch in die Bohrung übergehen. Die Tiefe der Tonkammer, wie der Schacht auch genannt wird, beeinflußt wiederum die Klangfarbe und natürlich auch die Intonation; denn die Länge der gesamten Luftsäule der Klarinette wird unter anderem durch diese Stelle im Mundstück beeinflusst.
Ist das Dach stärker in sich gekrümmt und die Tonkammer somit größer, so ist das Klangbild runder und voller, die Intonation aber wieder tiefer. Bei engerer Tonkammer und gerader oder sogar nach innen gewölbter Dachform ist das Gegenteil der Fall, der Klang wird heller ausfallen und die Intonation muss durch andere geeignete Maßnahmen wieder nach unten korrigiert werden.
 

Die Mundstücksbahn

ist der wesentlichste Teil dieses Kopf- und Herzstücks der Klarinette. Die Suche nach der passenden Bahn nimmt meist einen stolzen Zeitraum im Leben eines Berufsklarinettisten ein. Darum will ich hier erst einmal nur die allerwichtigsten Eigenschaften einer Bahn aufzeigen, so dass die gröbsten Fehler eines Mundstücks aufgedeckt werden können.
 

Die Blattauflage

oder auch Tisch genannt, sollte plan sein oder in Längsrichtung eine leichte Senke aufweisen ( ich rede hier von wenigen Hundertstelmillimetern ).
 

Die beiden Schenkel

sollten absolut gleich sein und sowohl in ihrem Verlauf zur Spitze wie auch zum Tisch hin kontinuierlich abrollen und keine Unterbrechungen aufweisen.
 

Die Spitze

sollte sich als letztes Teilstück von den Seiten her schließen, bzw. in einem Stück den Abschlussbogen der Bahn bilden. Nur wenn die Blattunterfläche schon von der Auflage weg kontinuierlich auf beiden Schenkeln symmetrisch abrollen kann und das Mundstück an der Spitze dicht verschließen kann, sind die Bedingungen zum Blasen wirklich optimal. Die gesamte Mundstücksbahn bildet sozusagen eine gekrümmte Ebene und weist in ihrem Verlauf keinerlei Absätze oder Unterbrechungen auf.
 

Wie kontrolliert man nun in der Praxis
die Beschaffenheit seines Mundstücks?


Nun in den Fällen Material, Bohrung und Tonkammer verlässt man sich vielleicht besser auf den Rat von Spezialisten, die entsprechende Messwerkzeuge zur Hand haben und über das nötige Wissen verfügen. Auf jeden Fall ist man mit allen handelsüblichen Mundstück - Modellen ab einem Preisniveau von etwa 120,- € in diesen Belangen auf der sicheren Seite. Die Qualität der Mundstücksbahn allerdings kann man schon eher einmal selbst nachsehen.
Man nimmt zu diesem Zweck eine Glasplatte von etwa 120 x 40 x 6 mm, die einem jeder Glaser für wenig Geld anfertigt, und legt diese auf den Tisch der Mundstücksbahn.
 
Um die Berührungspunkte von Mundstück und Glas besser erkennen zu können, empfiehlt es sich, vorher mit etwas Fett am Finger ein- oder zweimal über die Bahn zu streichen, so dass ein hauchdünner Film haften bleibt.
Die nun zu sehenden Kontaktpunkte sollten einmal die beiden Schenkel oberhalb des Tisches sein ( Kontaktpunkte oder Kontaktstreifen auf gleicher Höhe! ) und zum anderen das untere Ende der Blattauflage.
 
Rollt man nun das Mundstück in Richtung Spitze auf der Glasplatte ab, so sollten die Kontaktstreifen der Schenkel links und rechts gleichzeitig und im gleichen Maß zur Spitze hin wandern. Auch die Länge der Kontaktstreifen sollte sich beim Abrollen nicht plötzlich merklich verändern. Der Abschlussbogen sollte schließlich erst am Ende der Schenkel als Ganzes sichtbar sein.
 
Sind die Kontaktpunkte nicht ganz nach vorne gerollt und die Spitze ist schon zu sehen, so klingt die Klarinette mit jedem Blatt schnarrend oder scheppernd. Auch die Ansprache bzw. das Staccato Spiel ist dadurch erschwert, was natürlich nicht erwünscht ist.
 
Legt man die Glasplatte so auf die Schenkel der Bahn, dass die Mundstücksspitze etwa in der Mitte aufliegt, aber der Rand der Platte höchstens 1-2 mm von oben her über die Blattauflage (Mundstückstisch) ragt, so kann man sehen, ob die Kontaktpunkte auch sauber und gleichmäßig zur Auflage hin verlaufen. Der Kontaktpunkt auf der Auflage ist natürlich etwas breiter und sollte ebenso wie die Spitze in einem Stück sichtbar werden. Bewegt sich ein Kontaktpunkt beim Abrollen etwas schneller als der andere, so ist die Mundstücksbahn schief und somit unbrauchbar. Ein Kontaktpunkt sollte auch nicht länger oder kürzer sein, als sein Gegenüber. Er sollte auch nicht abreißen und weiter vorne wieder sichtbar werden. Dies wären Anzeichen für Löcher oder Schrammen in der Bahn.
 
Rollen die beiden Kontakte nicht sauber auf die Blattauflage hin ab, so ist zu erwarten, dass zum einen das Instrument insgesamt schwer anspricht, zum anderen ist kein rundes elegantes Legatospiel möglich, da die Schwingung des Blattes beim kleinsten Tonübergangswiderstand abbricht. Überdies erschwert ein solcher Bahnfehler das so sehr gewünschte flexible Klangfarbenspiel.
 
Damit sind wir vorläufig am Ende unserer kleinen Exkursion, die natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt; denn über die Tricks und Kniffe, sowie das handwerkliche know how kann man leicht ein Buch schreiben, das in den Kreis der Sekundärliteratur zu " Zen in der Kunst des Bogenschiessens " aufzunehmen wäre.
Aus ebendiesem Grund rate ich auch dringend davon ab, nach dieser kleinen Beschreibung irgendwelche Änderungen am eigenen Mundstück vorzunehmen. Ich habe mehrere Schuhkartons alter Holzmundstücke verschlissen, bevor eine halbwegs brauchbare Bahn dabei herauskam, die diesen Namen auch verdiente. Überhaupt lässt sich eines ganz sicher anraten:
 
NIEMALS DAS MUNDSTÜCK VERÄNDERN, AUF DEM MAN GERADE SPIELT !
 
Sonst kann es leicht passieren, dass die letzte Tür hinter einem ins Schloss fällt und der Fluchtweg für immer verschlossen bleibt.
 
Eine letzte Sache sei noch gesagt: Bei allen Auffälligkeiten, die Sie vielleicht feststellen sollten: Denken Sie immer daran, dass jede eventuelle Schwäche des Materials auch ausgeglichen werden kann durch einen stabilen Luftstrom und eine stabile Ringmuskulatur der Lippen.
Also, denken Sie nicht zu viel nach, nehmen Sie das Material wie es ist, und haben Sie viel Spass beim Musizieren!
 
Peter Przybylla
 

 

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